Endlich liegt er vor mir, der Lago San Belgrano. Noch viel blauer, als ich ihn mir vorgestellt habe. Lange war ich auf der Ruta 40 unterwegs, der alten Pionierstraße, die entlang des Ostrandes der Anden zum Synonym für den Aufbruch in unbekannte Gefilde, für Abenteuer und Freiheit wurde.
Irgendwann zweigt im tiefen Süden eine Stichstraße in Richtung chilenische Anden ab. Straße – von wegen! Wellblechpiste, Geröllfeld, Schlammweg ins Nirgendwo und noch viele schlimmere Bezeichnungen sind mir während der Fahrt eingefallen. Kein Auto weit und breit. Kein Mensch, kein Tier. Nur der Wind versucht, mein Gefährt von der Straße zu drängen. Ich begreife nun, warum so wenige Menschen in diesen entlegenen Winkel Patagoniens kommen. Aber: Sie wissen nicht, was sie verpassen! Allein die spektakuläre Landschaft des Perito Moreno Nationalparks. Im letzten Abendlicht leuchten die Hügel goldgelb, unwirklich das helle Türkis des Sees, in den eine riesige Halbinsel hineinragt.
Lange Wanderungen erschließen mir in den nächsten Tagen dieses Naturparadies. Das sonst so raue patagonische Wetter zeigt sich von seiner positiven Seite: Die warme Sonne verwöhnt mich, kein Wind wackelt an meinem Stativ.
Auf dieser Reise habe ich schon viele mir bisher unbekannte Ecken dieses riesigen Landes erkunden dürfen. In Nordargentinien fuhr ich mit dem Tren a las nubes, dem Zug in die Wolken, hinauf auf mehr als 4000 Meter Höhe, um mitten im Hochgebirge die Naturwunder der Puna zu erleben!
Ein Problem dann in Chilesito. Ich habe absolut nicht auf dem Schirm, dass das Osterfest vor der Tür steht. Überall werden große Prozessionen vorbereitet, nirgends finde ich auch nur die schäbigste Unterkunft. Doch man hilft mir. Die Bomberos, die freiwillige Feuerwehr hat in ihrem Betriebs- und Bereitschaftshaus wohl noch ein Zimmerchen frei. Ha – genau mein Ding! Und so sitze ich bald bei den harten argentinischen Feuerwehrmännern, die gerade dabei sind, direkt zwischen ihren Einsatzfahrzeugen ein beängstigend großes Feuer zu schüren. Denn wo sonst, so fragen sie mich, sollte man hier ein großes Asado, eine große Grillerei veranstalten. Und die braucht es doch unbedingt – ohne ein Asado könnte kein Argentinier länger als zwei Tage überleben…
Sicherlich haben Sie schon vom höchsten Berg Lateinamerikas gehört. Der hört auf den Namen Aconcagua. Ein Faszinosum. Auch für mich. Nichts wie hin! Nun, zugegeben – ich habe es nicht ganz bis auf seinem Gipfel geschafft: Aber immerhin rücke ich dem mächtigen Koloss ganz dicht auf den Pelz und erlebe in seinem gleichnamigen Nationalpark eine Landschaft, wie sie wohl einmalig ist auf unserem Planeten.
Und nun also Patagonien. Wo bleibt denn der Fitz Roy und der Cerro Torre, jene Berglegenden, die „Schreie aus Granit“ wie sie auch genannt werden? Keine Argentinienreise, in denen ich diesen mächtigen Apus nicht meine Aufwartung mache. Und so finde ich mich wieder an der Laguna Torre, wo ein starker eisiger Wind vom Inlandeisfeld kommend die Nadel des Cerro Torre umtost.
Morgen schon werde ich wieder hinunter ins Tal steigen, nach El Chalten, von wo ich mit dem Bus Richtung chilenischer Grenze fahre. Ich werde allein bei dem Gedanken daran ein wenig melancholisch. Nun ist also meine sechste Etappe vorbei, Argentinien wird bald hinter mir liegen. Nur noch ein paar Wochen in Chile, wo dann meine lange Reise durch die Anden Ihr Ende finden wird.